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Wie man sich bettet, so liegt man

Bei einer 100-tägigen Reise durch Deutschland gehört die Zugspitze ohne Frage dazu. Unsere erste Etappe führt uns durch die Partnachklamm ins Reintal.

Nach einer erholsamen Nacht mit der Gewissheit dank Julie und Chris frische Klamotten anziehen zu können, drehen Aiko und ich vor dem Frühstück eine Runde im Norden von Rosenheim und genießen den Blick auf die Alpen. Danach machen wir da weiter, wo wir gestern aufgehört haben. Wir sitzen wieder auf dem Balkon und genießen bei herrlichem Sonnenschein das Frühstück. Nach einem ausgiebigen zweiten Spaziergang im kühlen Wald verabschieden Aiko und ich uns von den liebevollen und gastfreundlichen Rosenheimern und machen uns auf zu unserem nächsten großen Ziel – der Zugspitze.

Als ich vor einigen Monaten meinen Freunden von meinen Reiseplänen erzählte, bekundeten viele ein loses Interesse, mich zu begleiten. Einer dieser Freunde war Fabian und ihn treffen wir nun heute am Münchner Hauptbahnhof. Wie schon Sebastian kenne ich auch ihn seit der Einschulung auf das Gymnasium im Jahre 1993 und uns verbinden viele gemeinsame Erlebnisse und Urlaube. Fabian kommt nicht ohne Grund zum jetzigen Zeitpunkt, denn die bevorstehende Tour ist genau nach seinem Geschmack. Er ist einer meiner sportlichsten Freunde. Er ist zwar nicht erfahren in den Bergen, aber er bringt ohne Frage die nötige Besonnenheit und den Respekt für die Berge mit. Ich bin froh ihn auf dieser Tour an meiner Seite zu haben. Die Bandbreite seiner sportlichen Aktivitäten ist bunt gefächert. Meine Erinnerungen reichen zurück zum Tauchsport, es folgte das Segeln und Laufen und seit gut zwei Jahren tritt er auch noch bei Triathlon-Wettkämpfen an. Erst gestern nahm er aus Spaß noch an einem Survival-Run im Serengeti-Park teil. Lediglich seine Leidenschaft für das Tanzen bereitet mir ein wenig Sorgen, den von seinen letzten Urlauben brachte er jeweils Bilder von sich und einer Freundin mit, bei der sie die Hebefigur aus dem Film „Dirty-Dancing“ nachgestellt haben. Ich hoffe einfach, dass ich zu schwer bin und Aiko wird es schon überleben.

Unsere Unterkunft ist etwas außerhalb von Garmisch-Partenkirchen und für einen ersten Eindruck entscheiden wir uns für die gutgefüllte Flaniermeile in Garmisch. Es ist ein Ort, der alle Konsumketten – oft in kleinerer Ausgabe als in den Zentren des Landes – vorweisen kann. Den Preis für den deplatziertesten Laden erhält die Imbissstube der Marke Nordsee, knapp gefolgt von einem Geschäft, dass neben Sportmode in einem Fenster auch Waffen anpreist. Wir laden unsere Sachen schnell ab und gönnen uns erst einmal ein goldenes Kaltgetränk und Obatzter im Biergarten am Mohrenplatz, bevor uns ein kleiner Schauer in das bekannte Lokal „Zum Wildschütz“ bringt. Wir wählen eine gratinierte Portion Schupfnudeln mit Pilzen als Grundlage für die morgige Etappe aus und gehen in Anbetracht der bevorstehenden Tour früh zu Bett.

In dieser unbedeutenden Pension sitzen wir beim Frühstück mit zwei jungen Menschen aus Taiwan, deren Reiseführer ihnen auch einige Orte meiner bisherigen Reiseroute aufgetragen hat. Die lustigste Anekdote ereignet sicher aber, als wir in dem Frühstücksraum vom laufenden Fernseher mit den „Nachrichten“ von N-TV penetriert werden und die beiden Asiaten verwundert feststellen, dass wir bei den Börsenkursen die Farben rot und grün für die Pfeilrichtungen konträr verwenden. Der Hausherr ist so nett und erlaubt uns einige Sachen, wie zum Beispiel den Rucksack von Aiko, bis zu unserer Rückkehr in drei Tagen hier zu lassen. Sein fehlendes Feingefühl oder seine Geldgier verlangen dann aber die sofortige Bezahlung für die letzte Nacht, denn bekanntlich kommen nicht alle aus den Bergen zurück.

Mit bestem Dank für die mahnende Erinnerung machen wir uns bei wolkenverhangenem Himmel auf in Richtung Ski-Stadion, dass in der Broschüre des Deutschen Alpenvereins als Startpunkt für die Tour beschrieben wird. Nach meinen guten Erfahrungen in der Touristeninformation am Königssee, machen wir auch hier einen kurzen Stop, um zu erfahren, dass unsere Route gar kein Problem mit Hund ist. Die junge Dame sagt das mit einem Unterton, dass man fast den Eindruck bekommt, dass ich nach dem Kronsberg in Hannover mit einer Höhe von 118 Meter über Normalnull gefragt habe. Aber es beruhigt mich erst einmal, denn die Meinungen im Internet waren ziemlich gemischt bei dem Thema.

Kurz vor dem Stadion warnen uns einige Schilder vor Kreuzottern und flössen uns ein wenig Respekt vor den Wiesen ein. Eine ältere Dame rückt die Schilder aber für uns ins richtige Licht. Schlangen hätte Sie hier noch nie gesehen und eher dient es der Abschreckung, dass die Leute von den Hütten fern bleiben. Die Säulen, Statuen und der viele Beton des Ski-Stadions bringen mir schnell ein Bild des Berliner Olympiastadions vor Augen und dieses mulmige Gefühl bei dem Gedanken an den Urheber dieser Architektur. Meine Gedanken sind aber auch bei der verlorenen Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018. Die Nation und vor allem die Menschen im Berchtesgadener Land waren gespalten. Auch wenn es vielleicht egoistisch klingt, ich war traurig über den Zuschlag für PyeongChang und hätte nur zu gern einmal Olympische Winterspiele im eigenen Land erlebt.

Nach einer kurzen Besichtigung eines sehr in die Jahre gekommenen Stadions geht es für uns zur Partnachklamm, die an diesem Morgen kaum besucht ist. Wieder bin ich fasziniert, mit welcher Kraft das Wasser die Wände aus Stein verformt hat. Aber die hohe Luftfeuchtigkeit und das stellenweise auch Wasser die Wände herunter kommt, lassen uns nicht viele geeignete Fotoplätze finden. Mehr fotografischen Erfolg haben wir im Anschluss an den Ufern der Partnach, wo sich das kristallklare Wasser seinen Weg durch die im Flussbett liegenden Felsbrocken sucht und Aiko vor Langeweile fast im Stehen einschläft.

Der Weg meint es gut mit uns und so geht es moderat anfangs noch auf breiten Wegen immer weiter ins Reintal. Es macht einfach nur Spaß. Eine wunderbare Lichtstimmung im Wald, ernsthafte und lustige Gespräche und der erste Schweiß als Zeuge der Anstrengung. Das Tal öffnet den Blick auf eine Welt aus Fels, grünen Sträuchern und Bäumen. Es wird immer wilder und ich sehe einen Freund an meiner Seite mit dem ich unter anderem schon im Tafjordfjella in Norwegen wandern und im Dalsland in Schweden mit dem Kanu unterwegs war. Aber hier und jetzt sind wir in Deutschland und die Schönheit der Landschaft reiht sich nahtlos ein. Immer mehr dominiert das Blau am Himmel und die Hoffnung auf gute Bedingungen für den morgigen Aufstieg steigt. Aber erst einmal gilt unsere Konzentration der heutigen Etappe, die zwar nicht vom Weg fordernd ist, aber 700 Höhenmeter sind auch kein Ausflug auf den Kronsberg. Aber der frühe Start führt dazu, dass wir gegen 13 Uhr die Reintalangerhütte erreichen.

Keine Worte und kein Bild kann die Lage der Reintalangerhütte wirklich beschreiben. Für mich der schönste Ort meiner bisherigen Reise und allein dafür hat sich diese Tour zur Zugspitze schon gelohnt. Die Hütte liegt direkt an der Partnach und das nette Hütten-Team lädt seine Gäste mit reichlich Liegestühlen zum Verweilen am Ufer ein. Wir machen es uns gemütlich, trocknen die durchgeschwitzten Sachen und freuen uns über die erste erfolgreiche Etappe auf dem Weg zum höchsten Gipfel von Deutschland. Zwischen den Bäumen lädt eine verlockende Slackline zum Balancieren ein. Die Tanzstunden von Fabian machen sich bezahlt und er schafft einige Schritte mehr als ich. Der gute Eindruck hat aber nur solange Bestand, bis uns ein sportlicher Kerl des Hütten-Teams eine Demonstrationsstunde erteilt, bei der er Sprünge, Drehungen, Rückwärtsgehen im fließenden Wechsel zeigt.

Für mich ein Zeichen eher wieder die Kamera in die Hand zu nehmen und zu probieren diesen zauberhaften Ort in Form von Nullen und Einsen auf dem Speicherchip festzuhalten. Für Fabian eröffnet sich auch die perfekte Alternative. Eine zwölfköpfige Reisegruppe aus Kanada ist ebenfalls hier. Ihn freut die Kontaktfreudigkeit der älteren Damen und so kann er leidenschaftlich seinen englischen Wortschatz weiter ausbauen. Die Stunden verstreichen und die Vorfreude auf die morgige Etappe zur Zugspitze wird immer größer. Zum Abendbrot wähle ich das Bergsteigeressen für Mitglieder des Alpenvereins, was heute Nudeln mit einer Art Gulaschsoße ist. Nichts Weltbewegendes, aber das liebenswerte Hütten-Team und die tolle Atmosphäre im urigen Gastraum machen es zu einem schönen Abend. Unsere Betten befinden sich aber nicht im Haupthaus, sondern erneut im Winterlager. Das Winterlager ist die urige Angerhütte, die 1881 als erste Hütte an diesem Fleck erstmals erbaut wurde. In dieser ehrwürdigen Hütte haben also schon viele Bergsteiger und Kletterer übernachtet, die im Wettersteingebirge auf Gipfel, Anstrengung und Erholung aus waren. Aber die Hütte erfährt heute Abend eine Premiere, denn ich traue meinen Augen kaum, als Fabian vor mir im Seidenpyjama steht. Ich kenne ihn in diesem Outfit, aber schwanke trotzdem jedes Mal zwischen Erstarren und Erstaunen. Er glänzt und funkelt im schummrigen Licht der Hütte, dass ich es ohne ein Wort zur Kenntnis nehme. Grundsätzlich könnte ich auch nichts Sinnvolles zu dem Thema sagen, denn ich habe keine Erfahrungen mit Seidenpyjamas. Eigentlich finde ich es gerade nur interessant, was jeder für sich als so wichtig erachtet, dass er es überall mit hinnimmt. Die Hauptsache ist aber, dass Fabian sich wohlfühlt und die Berge werden mir das Bild des Seidenpyjamas morgen schon wieder austreiben. Mein letzter Blick an diesem Abend geht zu Aiko, der den Kopf seines Kuscheltiers, einen kleinen Eisbären mit dem Namen Knut, komplett im Mund hat und der vermutlich morgen früh noch so nass sein wird, als ob man ihn in der Partnach ertränkt hat.

  1. Hallo Jens,
    endlich dein Bericht zur Zugspitze, auf den ich schon so lange gewartet habe! Ich habe deine Wanderung, die wunderschönen Fotos und deine Berichte von Anfang an verfolgt und bin ganz begeistert von dieser Aktion.
    Viele liebe Grüße Irene

  2. Das Persönliche und die persönlichen Eindrücke machen deinen Bericht so aufgelockert. Schade nur, dass du uns ein Foto des Seidenpyjamas vorenthältst ;-) Aber dein Freund wird sicher meinen, dass es schon zu viel ‚des Guten‘ war, was du alles verraten hast.
    ‚Ketten‘ in allen Städten der Welt; das wird immer beklagt und das macht sie so verwechselbar. Aber dieser Trend wird nicht aufzuhalten sein.
    Interessant das Foto von der ‚geselligen‘ Runde. Das sieht so gar nicht lustig aus.
    Herzlichen Gruß,
    Ingrid

  3. Hallo Irene,

    ich freue mich sehr über deine lieben und lobenden Worte! Der zweite Bericht zu der Zugspitztour kommt bereits am Sonntag.

    Liebe Grüße nach Letter
    Jens

  4. Hej Ingrid,

    es wurde nichts verraten, was Facebook nicht auch schon weiß und den Seidenpyjama kennen schon so viele, da braucht es kein Bild mehr. ;-)

    Das Thema „Ketten“ hat mich oft auf meiner Reise beschäftigt. Man kann da schon Muster erkennen, wann und wo sich dieses Phänomen häuft und ich teile deine Meinung, dass dieser Trend nicht aufzuhalten ist.

    Beste Grüße
    Jens

  5. Lieber Jens,
    habe auch wieder mit großem Vergnügen deinen Bericht gelesen und mußte auch sehr schmunzeln über den Seidenpyjama und hätte auch gerne ein Bild davon gesehnen. Die Beschreibung der Reintalangerhütte macht mich sehr neugierig und hört sich toll an.Vielleicht mal ein Ziel für den nächsten Sommer/Herbst. Ob die auch für nur durchschnittlich fitte Menschen erreichbar ist?
    Kann dich auch nur sehr ermuntern ein Buch zu schreiben, unbedingt mit Fotos.
    Liebe Grüße
    Elke H.

  6. Liebe Elke,

    vielen Dank für das Kompliment!

    Vom Ski-Stadion in Garmisch sind es knapp 15 Kilometer bis zur Reintalangerhütte. Es geht zwar kontinuierlich bergauf, aber die Steigung ist sehr moderat. Selbst bis zur Knorrhütte, die nächste Station auf 2060 Meter, sind die Wege ziemlich breit und man muss nicht klettern. Mit festem Schuhwerk und einer durchschnittlichen Fitness wird es sicherlich eine schöne Tour!

    Die Motivation zum Thema Buch freut mich sehr. Es ist komplettes Neuland für mich. Ich mache mich gerade schlau, wie ich am besten den Verlagshäuser mein Projekt vorstelle.

    Liebe Grüße
    Jens

  7. Lieber Jens,
    dank dir zum einen für die tollen Tage, die viele Eindrücke und Gespräche, die wir zusammen erfahren konnten und zum anderen für den wirklich „bildhaften“ Bericht. Letztgenannter scheint nachhaltiges Interesse geweckt zuhaben – und das nicht nur für die wunderschöne Natur. Hierzu sei gesagt, dass der Seidenpyjama deutlich wärmer war als eine Boxershort – insbesondere nicht zu vernachlässigen in den von uns bewohnten, unbeheizten Winterlagern. :-)
    Nicht nur dieser Teil Tour, den ich selbst erlebt habe, sondern auch die Dokumentation der anderen Orte, zeigt wieder mal, was es noch alles in gar nicht allzuweiter Entfernung zu entdecken gibt!
    Ich bin schon gespannt auf die nächsten Berichte und freue mich über deine tolle Fotoauswahl!
    Besten Gruß,
    Fabian

  8. Waffengeschäft. Partnachklamm. Mann im Seidenpyjama. Interessante Mischung und amüsant zu lesen….Viele Grüße!!

  9. Soso, Fabian trägt Seidenpyjama – Grandezza auf der Hütte. Aber: kleines Packmaß und geringes Gewicht!
    Hätte ja gerne ein Bild von Aiko mit seinem Knut gesehen, auch weil mich der Satz „der vermutlich morgen früh noch so nass sein wird, als ob man ihn in der Partnach ertränkt hat“ an Idas Spielzeuge erinnert…
    – Gut, dass wir literarisch noch mehr als die Hälfte der Reise vor uns haben!

    Sei herzlich gegrüßt,
    Katrin