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Welch klangvolle Stadt

In Eisenach, der Geburtsstadt von Bach, spielt jeder auf seinem eigenen Klavier.

Hütscheroda ist ein Ort, der an ein altes Militärgebiet angrenzt und von dem ich auch nach wiederholtem Studium der Karte keinen brauchbaren Weg nach Eisenach finde. Leider kann mir auch der geschulte Angestellte im zertifizierten Wanderhotel keine wirkliche Empfehlung aussprechen und so beiße ich in den sauren Apfel. Im monotonen Eilschritt geht es die Bundesstraße entlang. Der aufkommende Nieselregen vergrößert meine Schrittlänge und verkleinert mein Blickfeld. Lediglich ein vom Schrotthandel auf uns zustürmender Kollos von Hund – vermutlich eine Deutsche Dogge – sorgt für eine Abwechslung, die zum Glück mehr Show als Angriff ist.

Zur frühen Mittagszeit erreichen wir Eisenach und ich gönne mir zur Belohnung in einer altehrwürdig erscheinenden Konditorei ein Stück Walnusskuchen, dessen Nussmasse – um es positiv auszudrücken – reichlich Energie beinhaltet. Wir passieren das Stadttor, schlendern durch die Fußgängerzone in Richtung Marktplatz und ich widerstehe dabei den Versuchungen zahlreicher mobiler Rostbratwürstchen-Verkäufer. Aiko mit seinem Rucksack verdreht dabei einigen Passanten den Kopf, bevor wir die Wanderpension »Zum Storchenturm« erreichen.

Bei immer besser werdenden Wetter verbringen wir den ganzen Nachmittag im von Bäumen umsäumten Biergarten und üben uns im Müßiggang, bzw. ich übe ihn und Aiko zelebriert ihn.

Am Nachbartisch sorgt der gut gelaunte und gut geformte Chef des Hauses immer wieder für Erheiterung und kurzweilige Gespräche. Obwohl ich ihm nicht helfen kann, dass er mit seinem Klavier, handelsüblich auch Tastatur genannt, ins Internet kommt, werden mir köstliche Thüringer Klöße mit Rotkohl und Rinderroulade serviert. Dazu wird in einer Sauciere reichlich der kräftigen braunen Soße gereicht, die sich in einer traumhaften Liaison mit dem klebrigen Kloß verbindet.

Ohne Hahn schlafen wir am nächsten Morgen bis halb neun, stärken uns bei einfachem aber reichlichem Frühstück und bewegen uns ohne Gepäck zum Bachhaus. Mein kleiner Freund kommt leider nicht in den Genuss einer klangvollen Vorführung verschiedener Instrumente aus der Bachzeit, wobei einige sogar damals von Bach selbst gespielt wurden. Ich besuche noch den angrenzenden Neubau und bin zutiefst beeindruckt über den gewährten Einblick in das Schaffen von Bach. Lediglich der vor der Tür wartende Begleiter stiehlt mir ein wenig die Ruhe. An einem Fenster kann ich zum Glück einen Blick nach Außen erhaschen und Aiko ist umringt von einer Traube an Menschen. Er liegt flach wie eine Flunder auf dem Boden und lässt sich so auf einigen Speicherkarten der digitalen Foto- und Filmkameras verewigen.

Bei strahlendem Sonnenschein erreichen wir die Wartburg und der Ausblick von dieser geschichtsträchtigen Burg ist famos. Da hier aber noch mehr Menschen unterwegs sind und ich Aiko nicht ein zweites Mal draußen anbinden möchte, verzichte ich auf einen erneuten Besuch des Zimmers, in dem Luther als »Junker Jörg« das Neue Testament der Bibel in nur elf Wochen ins Deutsche übersetzt hat. Zum Abschied aus Thüringen gönne ich mir am Fuße der Burg noch eine vorzügliche Thüringer Rostbratwurst, bevor ich meine Reise durch Deutschland zwei Tage lang für den Junggesellenabschied eines sehr guten Freundes unterbreche.

  1. Der Freund hat sich auch sehr über den Abstecher seines sehr guten Freundes gefreut! War grandios! Und deine Bilder hier auch.
    Viel Spaß noch die Woche und bis zum nächsten kurzen Abstecher. :-)

  2. Apropos Deine Aufnahme vom Jugendclub Sonne. Hier hatte der Blödelfriese Otto Ende der 70-er Jahre seinen ersten DDR-Auftritt. Er wurde in einer Eisenacher Kneipe erkannt und spontan in den Jugendclub gebeten….

  3. Das ist ja eine nette Anekdote! An einem Schild vor dem Jugendklub stand auch noch folgendes: In diesem Haus ehem. Gasthof „Zur Sonne“ fand vom 23. bis 27. August 1873 der V. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei statt.

  4. Der „berühmte“ Eisenacher Parteitag der SPD, der eigentliche Gründungsparteitag (damals noch SDAP genannt). Das sogenannte Eisenacher Programm war dem Zeitgeist zufolge marxistisch ausgerichtet und proklamierte den „freien Volksstaat“. Protagonist war u. a. August Bebel. Das von Dir angegebene Datum muss angezweifelt werden, denn der Parteitag war am 8. August. Das Gremium lehnte übrigens damals den Vorschlag von Bebel ab, in Deutschland ein allgemeines Frauenwahlrecht einzuführen. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Eisenacher_Programm

  5. Nächstes Jahr wollte ich diese Region ebenfalls mit dem Rucksack erkunden. Einige deine Tipps sind hervorragent. Vielen Dank dafür ;)
    Aiko ist ja ein richtiger Star! Mein Beagle interessiert sich auf Wanderschaft nur für Wildpfade :)

  6. Hej Stefan,

    wenn Du Fragen hast, dann schreib mir gerne eine E-Mail. Ich habe einiges an Material gesammelt. Aiko ist bei Wildpfade aber auch nicht abgeneigt. ;)

    Beste Grüße
    Jens

  7. Hallo Jens.Uns gefällt es sehr gut.Wir verfolgen weiterhin gespannt deinen Weg.Liebe Grüße Marlis und Günter