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Herz-Kreislauf Testwanderung

Unsere viertägige Tour rund um das legendäre Watzmannmassiv beginnt bei Kaiserwetter mit 1200 Meter Anstieg über die Hammerstiel-Route.

Kurz vor acht Uhr stehen Kai und ich mit unseren Kameras in der Hand auf dem Balkon und sehen neben einigem Nebel im Tal schon den Grünstein mit 1303 Metern und zum Teil sogar schon blauen Himmel. Der Wetterumschwung freut uns und zusätzlich freut mich, dass Aiko den Ärger von gestern wohl nicht mehr auf dem Schirm hat. Seine Nase ist wieder nass und kühl und nicht mehr trocken und warm, was sonst immer ein Anzeichen für ein Kränkeln ist. Gestärkt von einem guten Frühstück bei einer sehr netten Wirtin geht es los. Von unserer Unterkunft bis zum empfohlenen Startpunkt brauchen wir eine knappe Stunde und die ersten Höhenmeter zum warm werden bekommen wir kostenlos dazu.

Am offiziellen Startpunkt erwartet uns ein offizielles Schild mit der offiziellen Aufschrift „Herz-Kreislauf Testwanderung“ – der Name unter Wanderern ist Hammerstiel. In bester deutscher Pingeligkeit erfahren wir die Aufteilung in 11 Etappen à 100 Höhenmeter und zusätzlich noch die Gesamtkilometer, die Steigung und dass es sich um eine wissenschaftlich getestete Trainingsstrecke handelt. Unsere Stirnbänder sitzen besser als damals bei André Agassi und die Zeitmessung mit unseren Multifunktionsuhren ist gestartet. Nach 50 Metern kassieren uns zwei Mountainbike-Fahrer, wir stellen unser Training für heute ein und genießen das Wandern, Fotografieren und zum Teil auch das Schwitzen. An der Stubenalm gönnen wir uns eine Pause und ein Kaltgetränk mit Zucker. Aiko wird von einem bellenden Pudel begrüßt, den die Wirtin mit den Worten vorstellt, dass er sich gerne einmal kabbelt. Für einige Zeit ignoriert Aiko das Gebell und die leichten Attacken, bevor er eine kleine Ansage macht. Der Pudel schickt bis zu unserem Aufbruch nur noch böse Blicke und Knurren aus der Hütte in die Richtung von Aiko, die ihn aber nicht erreichen, weil er die meiste Zeit schläft und wohl schon ahnt, dass das noch nicht das Ende der heutigen Etappe ist.

Nach einem kurzen Abschnitt über Weideflächen wird der Weg schmaler, steiniger und steiler. Wir spielen das alte Spiel. Wir bergauf und der Schweiß bergab. Aber die Kondition vor allem beim Aufstieg hat sich seit dem Bayerischen Wald deutlich verbessert und die Lücke zwischen Kai und mir wird immer größer. Aber bei den heutigen Wetterbedingungen ist das für uns beide in Ordnung. Jeder soll sein eigenes Tempo in den Bergen finden. Bei schlechten Wetterverhältnissen und schwierigen Passagen würde ich mich natürlich am langsameren Tempo orientieren, um nicht den Sichtkontakt zu verlieren. Ich nutze die Wartepausen für beeindruckende Fernblicke und zum Fotografieren. Mein Grinsen im Gesicht wird immer breiter, denn in den nächsten vier Wochen werden die Berge, An- und Abstiege, das Leben und Übernachten auf den Hütten meine Reise dominieren. Einfach, befreiend und erfüllend stelle ich mir diese Zeit vor.

Der Himmel präsentiert sich inzwischen in perfektem Blau und so genießen wir auf der Kaseralm neben einem herzhaften Speckbrot auch die warmen Sonnenstrahlen. Der Aiko bekommt mein Frühstücksei aus dem Tal und spätestens ab da ist der Maulkorb von gestern vergessen. Wir haben gerade die Rucksäcke wieder auf dem Rücken, als mich ein junger Kerl anspricht und erzählt, dass er auch einen Husky hat. Auf meine Frage, wo der Gute sei, gibt er mir eine rätselhafte Antwort. Er wußte nicht, was die Leute hier in den Bergen zu Huskys sagen und war sich somit unsicher, ob er ihn mitnehmen soll. So hat er ihn lieber zu Hause gelassen. Ich ermutige ihn, dass er doch beim nächsten Mal lieber an seinen Hund denken soll und weniger daran, was andere Menschen über ihn denken. Noch einige Höhenmeter muss ich über diese Begründung nachdenken und bin froh, dass ich nach vorne blicken kann und ein glücklicher Aiko voller Energie und ohne Probleme auf dem Weg zum Gipfel ist. Einige Spitzkehren später erreichen wir schon die Baumgrenze und nach einer langgezogenen Kurve haben wir das Watzmannhaus direkt in unserem Sichtfeld. Erbaut auf fast 2000 Metern und bis jetzt der höchste Punkt meiner Reise. Mit dem Ziel vor Augen passieren wir die elfte und letzte Tafel der „Herz-Kreislauf Testwanderung“ und stehen nach insgesamt knapp 5 Stunden vor dem Watzmannhaus.

Wir beglückwünschen uns zum erfolgreichen Aufstieg und kurze Zeit später hören wir das wunderbare Geräusch zwei gefüllter Weißbier-Gläser, die sich kraftvoll berühren. Den Nachmittag verbringen wir an verschiedenen Sonnenplätzen rund um das Watzmannhaus. Im Gegensatz zu vielen anderen geht mein Blick weniger zum Hocheck, dem ersten Gipfel der Watzmannüberquerung, sondern in die verschiedenen Täler. Es wirkt so unwirklich von hier oben. Ruhige und sanfte Täler. Keine Spur von Lärm und Stress. Ein verklärtes Bild, denn der vorhandende Handyempfang bringt den Stress auch auf den Berg. Das Finanzamt ist gnadenlos und die Steuerunterlagen müssen auch diesen Monat pünktlich eingereicht sein. Zum Glück kann ich auf die Hilfe meiner Freundin bauen und so hat diese Aufgabe nach wenigen Minuten den Berg auch wieder verlassen.

Aber ich bin nicht der Einzige, der zum Handy greift. Vater und Sohn, beide große Kandidaten für das nächste Gesicht auf der Verpackung der Kinderschokolade, rufen die Frau beziehungsweise Mutter der Familie an. Kinderschokolade Junior (Sohnemann) berichtet Stolz von ihrer Fabelzeit für den Aufstieg und dass sie morgen auf jeden Fall auf die Spitze wollen. Mich stört die überhebliche Art, das Verpönen der angegebenen Zeiten vom Alpenverein auf den Schildern und der fehlende Respekt vor dem Berg. Als er berichten will, was sie denn alles in ihren Rucksäcken hoch getragen haben und er mit dem tonnenschweren Waschlappen beginnt, schwanken wir zwischen Lachanfall und Kopfschütteln. Aber Kinderschokolade Senior überbietet ihn, als er die gewagte These aufstellt, dass sie morgen bestimmt wie Piraten aussehen. Die Barbaren Kai und Jens schauen sich an und amüsieren sich köstlich. Noch köstlicher ist nur noch der Kaiserschmarrn, der uns am Abend in einer gemütlichen Gaststube serviert wird.

  1. … ich vermisse die bergluft und die klare sicht..auch wenn die eilenriede gerade mit herrlichem farbenspiel auftrumpft – vermisse ich die weitsicht..wünsche euch weiterhin viel klare sicht!

  2. Das kann ich gut verstehen und lieben Dank!

    Aber ein wenig vermisse ich auch die Spaziergänge und Momente mit Aiko in der Eilenriede.

    Lg
    Jens

  3. griaßenk ihr zwoa bergsteiger … ich schau immer wieder rein zu euch 2 und verfolge eure tour mit großer begeisterung und viel respekt … deine bilder und deine gschichtln dazu sind soooo nett und guad … danke, dass du uns teilhaben läßt … jetzt sitzt du wahrscheinlich schon im schnee, oder? pfiati und gute reise weiterhin … bussl an aiko

  4. Hej Barbara,

    vielen Dank für deine lieben Worte, die mich sehr freuen! Wir sind ja immer ein wenig weiter als die Berichte und somit sind wir aktuell in der Pfalz bei 10 Grad und Sonne. Im September hatten wir im Karwendelgebirge 40-50cm Schnee, aber ansonsten kam der Schnee immer nachdem wir aus der Gegend 1-2 Wochen weg waren. :)

    Ich war ja einen Monat in den Alpen unterwegs und musste so oft an die Ramsau am Dachstein und Euch denken! Ich hoffe, dass es bald einmal wieder zeitlich passt. Ich würde so gerne mal einen Klettersteig ausprobieren oder noch einmal Touren-Ski gehen.

    Ganz liebe Grüße an die Familie
    Jens

  5. Hi Jens,

    tolle Aktion, schönes Blog und wie immer grandiose Fotos! Macht Spaß dich auf deiner Reise zu begleiten!

    Grüße aus Kalifornien,
    Hendrik

  6. Hey Jens,
    in Schönau hast du sogar in der gleichen Pension übernachtet hast, die ich auch gebucht hatte – noch knapper können wir uns ja wirklich kaum noch verpassen ;)

    Gruß
    Ben

  7. Hej Ben,

    verrückt! Wo bist Du gerade? :) Ich auf dem Saar-Hunsrück-Steig in Richtung Trier.

    Beste Grüße
    Jens

  8. Hej Hendrik,

    lieben Dank und Dir viel Erfolg für die kommenden Läufe! Hab eine tolle Zeit – noch ein Grund mehr auch einmal Kalifornien zu besuchen.

    Jens