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Auftakt im Land der Burgen, Bäche und Biere

Bei fränkischer Gemütlichkeit lassen sich selbst sintflutartige Regenfälle in der größten intakten mittelalterlichen Altstadt Deutschlands herrlich aushalten.

An unserem zehnten Reisetag erreichen wir gegen 12 Uhr Bamberg mit dem Zug. Bei passablem Herbstwetter finde ich schnell das Backpackers Hostel, wo uns zwei gastfreundliche Menschen empfangen. Die junge Dame gibt mir zahlreiche Tipps für Bamberg und der Mann, der von ihr als Hundenarr vorgestellt wird, kümmert sich um die liebevolle Begrüßung von Aiko.

Mit dem ausgehändigten Stadtplan in der Hand geht es los. Der Appetit ist größer als der Erkundungsdrang und so biege ich bereits in die zweite Querstraße ein und entscheide mich gegen die Brauerei Fässla und für die Brauerei Spezial. Ich öffne die Tür zur Gaststube und sehe keine stylischen Lounge-Möbel und LCD-Displays, sondern lange Tische, an denen man mit vielen Menschen gemeinsam sitzen kann und die umhüllt sind von rustikalem dunklen Interior. Zu meiner Überraschung hat das Rauchverbot auch hier Bestand. Das Thema „Rauch“ hat aber noch viel tiefere Wurzeln in Bamberg. Die Stadt ist nämlich bekannt für ihr Rauchbier, für das Malz über Buchenholzfeuer gedarrt wird. Hitze und Rauch durchströmen das Malz, entziehen ihm dabei die Feuchtigkeit und lassen den unverwechselbaren Geschmack des untergärigen Bieres entstehen, dass in der Brauerei Spezial bereits seit 1536 gebraut wird und die damit als der älteste Rauchbierproduzent der Welt gilt.

Es dauert nicht lange, bis ein Mann, gekleidet mit einer Jogging-Jacke eines scheinbar ansässigen niedrig-klassigen Fußballvereins und Parade-Schnauzer, sich zu mir an den Tisch setzt. Bevor er aber sitzt, steht schon ein halber Liter Rauchbier vor ihm. Er schlägt eine Gazette auf und blättert zielsicher zum Sportteil, der ein großes Bild von Manuel Neuer nach dem ersten Spieltag der neuen Bundesliga-Saison zeigt. Es ist die perfekte Steilvorlage, um meinem Vorsatz für die Reise – mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen zu reden – auch heute wieder zu verfolgen. Aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes hätte ich erwartet, dass er den neuen Torwart des 1. FC Bayern München nach dem vermeintlichen Patzer am liebsten wieder in den Ruhrpott jagen würde, aber ich sollte eines Besseren belehrt werden. Über den Fußball kommen wir zur Natur, der Kultur und dem Brauchtum in Franken. Am meisten überrascht mich die Tatsache, dass es immer noch Braugasthöfe gibt, wo man entweder ganztägig oder zu bestimmen Zeiten seine eigene Brotzeit mitbringen darf und lediglich das Bier vor Ort kauft. Zum Bier bestelle ich mir noch Züngla in Weißweinsoße auf Reis. Sicherlich kein Gericht für die breite Masse, aber mir schmeckt die zart gekochte Zunge vom Schwein und die sämige Soße sehr gut.

Ich verabschiede mich und wir bewegen uns in Richtung der Altstadt, als wir plötzlich von einer aufgeregten Frau angehalten werden. Sie bittet um ein Foto mit Aiko. Ich brauche einige Augenblicke, um ihre wiederholten Worte „Er hat die gleiche Augenfarbe“ zu deuten. Sie hat ebenfalls ein braunes und ein blaues Auge. Ich lasse Aiko neben ihr Platz machen und er schaut in seiner unnachahmlichen Art in der Weltgeschichte umher, aber nur nicht zur Kamera. Der Ehemann drückt unmotiviert den Auslöser und der emotionale Erinnerungswert für die Ehefrau ist festgehalten.

Wir schaffen es endlich über den Fluss Regnitz in die größte intakte mittelalterliche Altstadt Deutschlands. Mit großen Augen bleibe ich immer wieder vor den Fassaden der Häuser stehen und betrachte den faszinierenden Detailreichtum. Vor allem die opulenten und verzierten Schilder der verschiedenen Geschäfte ziehen mich in ihren Bann. Wieso mussten diese handwerklichen Kunstwerke den heutigen lieblosen Schildern mit auswechselbarer Klebefolie weichen? Diese alten Schilder haben ein Gesicht und erzählen Geschichten über das Geschäftstreiben unterhalb des Bamberger Doms, der zu den imposantesten deutschen Bauwerken des Mittelalters zählt. Leider erreichen wir den Dom bei scheußlichem Regenwetter. Bevor der nächste Regenguss auf uns niederprasselt, suchen wir einen Tierarzt auf. Für eine kleine allergische Reaktion auf einen Wespenstich erhalten wir eine Salbe und ein paar Tabletten, damit der kleine Wicht sich nicht weiter aufkratzt. Beruhigt schlendern wir am Ufer der Regnitz entlang, blicken auf »Klein Venedig« und genießen die einsetzende Abendsonne.

  1. Hui. Die Zunge hätte ich garantiert nicht runter bekommen. Schmeckt das nicht, als würde man auf seiner eigenen rumkauen? Die Frau mit den gleichen Augen wie Aiko hätte ich ja wirklich zu gerne gesehen.

  2. Hej Ulf,

    es ist auf jeden Fall ein Geschmack, wo sich die Geister scheiden. Das Fleisch ist in der Regel sehr zart und geschmackvoll. Ich mag zum Beispiel auch Ragout fin. Die Augen der Frau waren schön. ;-)

    Beste Grüße
    Jens

  3. Servus! Wieder schöne Bilder! Erzähl mal was vom fränkischen Akzent! Sind schon ein paar vielleicht bisher unbekannte Wortschöpfungen dabei gewesen? ;) Freu mich auf nächste Woche.

  4. Hej Houbi,

    lieben Dank! Über den fränkischen Akzent schreibe ich auf jeden Fall noch. ;) Unsere gemeinsamen Tage habe ich schon ein wenig geplant. Das wird toll.

  5. Hoffe auf vielmehr Öffentlichkeit für diee Webseite. Eine Webseite mit Substanz und toller Typografie (Weißraum hurra!!), Herz was willst Du mehr.

    Grüße aus Hessen

  6. Hej Matthias,

    vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Es freut mich sehr und wird auch den Gestalter, Ulf Germann, sehr freuen!

    Beste Grüße
    Jens